Intime Einblicke in das frühere „Herz“ von Erkner: Authentische Schilderung von Zeitzeugen
Historiker | |
Gerhard Ziebarth | |
Telefon: | 0 33 62/45 47 |
E-Mail: | g.ziebarth.erkner@online.de |
Teer für die Welt!
Stand: November 2019
Gestank bringt die Welt voran, das machte Erkner exemplarisch vor. Fast 150 Jahre lang sorgten die Bewohner dafür, dass Eisenbahnschwellen ein langes Leben hatten, damit Personenverkehr und Wirtschaft rund liefen.
Dass sich Gerhard Ziebarth mit dem stadtprägenden Teerwerk befasste, ist erst mal erstaunlich. Zwar ist der Erkneraner gelernter Chemiker, der hier lange für die DDR-Akademie der Wissenschaften tätig war, doch sein Herz schlägt für die Natur.
Naturschutz-Pionier
Er war Naturschutzpionier in der DDR und engagierte sich im Rahmen vom Kulturbund für dieses Thema. Insbesondere liegt ihm das Löcknitztal am Herzen. „Wir mähen seit 30 Jahren regelmäßig Flächen auf dem zweieinhalb Hektar großen Gelände, damit dort Blühpflanzen wachsen können und nicht von den Gräsern überwuchert werden. Wir haben dort einen immensen Artenreichtum und sogar Orchideen“, kommt er ins Schwärmen.
Exklusiver Teer
Als Chemiker ist der heute 83-Jährige natürlich Mitglied bei den „Chemie-Freunden“, die sich mit Erkner als Wiege des Kunststoffzeitalters befassen. Dessen Ursprung lag in dem Teerwerk, das Julius Rütgers 1860 in Erkner gegründet
hatte. „Vorher musste das
für die Konservierung von
Eisenbahnschwellen wichtige Teeröl teuer aus Schottland importiert werden, wo 1822 die weltweit erste Fabrik dafür entstanden war“, weiß Gerhard Ziebarth. „Rütgers hat sich mit der Destillation von Teeröl aber nicht zufrieden
gegeben. Schließlich wurde in Erkner die erste großtechnische Herstellung von Kunststoff durchgeführt.“
Arbeiten in einem VEB
„1961 wurden die Teerwerke ein volkseigener Betrieb. Hierher kam der gesamte Teer der DDR, der bei der Koksherstellung frei wird“, schildert er die große Bedeutung.
„1993 wurde dieser Betrieb
geschlossen. Ich wollte die
Arbeits- und Lebensbedingungen in einem Teerwerk erforschen. Deshalb habe ich zwei Jahre lang Interviews mit insgesamt 35 Personen geführt. Darunter waren der mittlerweile verstorbene Betriebsleiter Werner Böhme, seine Chefsekretärin Margitta Gölling, aber ebenso Joachim Schmidt, ein ehemaliger Lehrling. Ich habe mit Elfriede Brandscheit eine frühere
Küchenhilfe gesprochen,
nur leider konnte ich keine Köchin und niemanden aus der Kfz-Reparaturabteilung interviewen. Die wichtigsten Personen im 650-Mitarbeiter-Betrieb waren natürlich die direkt in der Produktion tätigen, die deshalb bei mir einen besonders großen Platz einnehmen“, beschreibt der Autor seinen Ansatz.
„Ich habe die Interviews aufgenommen und später abgetippt. Dabei ist ein ungeschminkter Einblick in das Leben in der DDR herausgekommen“, erklärt er, wie es in zehn Jahren zu dem über 350 Seiten starken Werk kam.
DDR-Wirtschaft aus erster Hand
Bis „Dreck und Mief und glückliche Jahre“ erscheinen konnte, war es ein beschwerlicher Weg: „Viele Verlage winkten ab, weil ihnen das zu regional vorkam. Dabei ist es so, dass man hier mehr über die DDR lernen kann als aus tausend Studien. Hier geben die Mitarbeiter unzensiert Einblick in die Funktionsweise eines Großbetriebs, wie es ihn in dieser Struktur heute nicht mehr gibt“, fasst der Autor zusammen.
Beim Auftreiben der immensen Summe von 5 000 Euro für eine Mini-Auflage, die der Verlag „Die Mark Brandenburg“ als „Druckkostenzuschuss“ verlangte, kam
Ziebarth seine frühere Tätigkeit als Dezernent beim Landkreis zugute.
„Damals habe ich gleich sechs Ämter unter mir gehabt: Ordnung, Umwelt, Straßenverkehrsamt, Landwirtschaft, Bevölkerungsschutz und Tierschutz. Zudem war ich Erster Beigeordneter. Also wurde ich beim Kreis vorstellig. Weitere Unterstützung gab es von der Stadt Erkner und von der Wohnungsgesellschaft, so dass ich nur noch 200 Euro selbst zuzahlen musste.“
Die Buchvorstellung im Bürgersaal vom Rathaus belohnte ihn für die Arbeit: „Der Raum war bis auf den letzten Platz gefüllt.“ Ähnlich dürfte es zugehen, wenn die Lesung beim Heimatverein stattfindet. Dabei heißt es, schnell zuzugreifen, denn eine weitere Auflage ist fraglich: „Dafür bekomme ich das Geld nicht zusammen.“